Es ist wie nach jeder Wahl: Aufgeregte Journalisten kündigen eine „Zäsur“ an – nervöse Parteipolitiker wollen „die Kanzlerin jagen“ – Verlierer beschimpfen die Wähler. Doch die Kanzlerin sagt am Wahlabend den vernünftigen Satz: „In der Ruhe liegt die Kraft“. Ein Kommentar von Franz Alt
Wenigstens eine unaufgeregte Stimme im Konzert des wild aufgeregt gackernden Berliner Hühnerstalls. Eines scheint klar: Die Rechtspopulisten zerlegen sich schon wieder selbst wie sie das auch früher bei den „Republikanern“ und bei der NPD gemacht haben.
Alles andere ist offen wie sich das nach einer demokratischen Wahl gehört. Die wahrscheinliche Jamaika-Koalition wird nicht zum Untergang des Abendlandes führen. Die Karibik-Insel Jamaika ist ein armes, aber sehr interessantes und charmantes Land mit liebenswerten Menschen.
Angela Merkel kann mit „Jamaika“ nochmal etwas Neues und ganz Interessantes beginnen.
Alle vier Parteien haben Regierungserfahrung und wissen, dass zum Regieren vernünftige Kompromisse gehören, die auch den Anderen genug Luft zum Atmen lassen.
Es ist gut, dass die SPD ohne Wenn und Aber die Oppositionsrolle annimmt. CDU/CSU, FDP und Grüne werden wohl die Regierung bilden. Die Kleinen müssen sich am Anfang noch etwas zieren, aber auch sie wollen dabei sein. Sie werden der taktisch klug agierenden Kanzlerin schließlich folgen.
Angela Merkel war mal Umweltministerin und möchte gerne ihren Ruf als „Klimakanzlerin“ zurückholen. Dabei sind die Grünen ein geradezu idealer Partner. Sie werden Klimaschutz, Verkehrswende und Kohleausstieg in den Koalitionsvertrag schreiben und von Merkel dabei unterstützt werden. Eine liberale Partei, die Bürokratie und Subventionen abbauen will und für Menschenrechte steht, hat schon im letzten Bundestag gefehlt.
Grüne und Liberale haben mehr gemeinsam als bisher öffentlich vermutet: Globalisierung, Digitalisierung und Bildung sind die Stichworte. Sie werden sich wohl auf ein Digitalministerium einigen. Das Problem Angela Merkels werden in ihrer vierten Kanzlerin-Periode nicht die FDP und auch nicht die Grünen sein, sondern die CSU.
Zum Glück für Merkel wurde Seehofer von den Wählern noch mehr gerupft als sie selbst. Deshalb wird die Kanzlerin in den nächsten vier Jahren ihre „Politik der Mitte“ fortführen können. Je aufgeregter Journalisten und Politiker das Wahlergebnis kommentieren, desto wichtiger wird die ruhige Stimme einer Kanzlerin, welche die Richtlinien der Politik bestimmt. Wer nach dieser Wahl voreilig die „Kanzlerin-Dämmerung“ ausgerufen hat, dürfte sich noch wundern über die Kraft, die „in der Ruhe“ liegt.
Auch wenn die Partner ordentlich streiten, ist das noch immer besser als die Friedhofsruhe, die lähmend über der Großen Koalition lag und die Neo-Nationalisten ins Parlament brachte. Eine Demokratie ohne Streitkultur ist wie fehlende Luft zum Atmen.