Sehr geehrte Frau Obergfell,
das sind interessante Ergebnisse. Allerdings haben Sie nicht definiert, was Sie unter "Energiewende" verstehen, zumindest nicht auf Ihren Folien. Das, was die Bundesregierung seit 2010/11 so nennt? Das, was durch das EEG 2000 ausgelöst wurde oder auch schon das, was durch das Stromeinspeisegesetz 1991 entstand? Oder doch das, was sich seit Ende der 1990er Jahre etliche Kommunen und Regionen auf die Fahnen geschrieben und teilweise mit beachtlichem Erfolg umgesetzt haben, nämlich die vollkommene Umstellung ihrer Energieversorgung auf Erneuerbare Energien in den Bereichen Strom und Wärme, und manchmal auch in dem der Mobilität?
Gerade, wenn man die vielgestaltigen regionalen Bewegungen in den Blick nimmt, bietet sich ein ganz anderes Bild der Energiewende, als wenn man nur die Ereignisse seit 2011 betrachtet, und so manche Erkenntnis ist dann auch gar nicht mehr so neu. Dass man "die Menschen bei der Energiewende mitnehmen muss", war schon lange bevor die Bundesregierung das Wort auch nur in den Mund nahm, vielen lokal und regional engagierten geläufig und diese Engagierten können auch aufzeigen, wie man dies denn am besten tut. Einiges dazu bietet die Webseite http://www.100-ee.de/, weiteres die Webseiten vieler regionaler Energieinitiativen.
Meine Kollegen und ich haben 2006 das Praxis-Handbuch „Auf dem Weg zur 100% Region“ veröffentlicht, dessen Inhalte immer noch aktuell sind, auch wenn die Nutzung Erneuerbarer Energien inzwischen weit fortgeschritten ist. Wir haben noch Restbestände, das Buch kann bei mir bestellt werden. Eine Ergänzung erfuhr es 2012 durch den Prozessmonitoringbericht im Projekt „SEMS – Sustainable Energy Management System“, frei verfügbar auf http://www.sems-project.eu/.
Die gesellschaftliche Akzeptanz ist, sofern man unter Energiewende auch das versteht, was in den letzten beiden Jahrzehnten auf lokaler und regionaler Arbeit geleistet wurde, keinesfalls ein bislang vernachlässigter Aspekt. Eher scheint es mir, dass Sie die Erkenntnisse, die auf dieser Ebene gewonnen, und die Erfahrungen, die gemacht wurden, nicht in dem Umfang berücksichtigt haben, der ihnen gebührt.
Sehr wichtig erscheint mir dagegen ein anderes Ergebnis Ihrer Arbeit: Dass ein größerer Beitrag der Photovoltaik zur 100% erneuerbaren Energieversorgung diese nicht wesentlich teurer macht als ein rechnerisch optimaler Beitrag. Bisherige Modellrechnungen legten dies bereits nahe. Es ist erfreulich, dass Sie dies bestätigen konnten, zeigt es doch, wie robust, das heißt unanfällig gegen Abweichungen von einem theoretisch optimalen Weg, die Energiewende ist.
Mit sonnigen Grüßen, Michael Stöhr