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Ist Eigenverbrauch von PV-Strom unsolidarisch?

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Eingestellt 16, Mär 2016 in Energiewende von Michael Stöhr (1,180 Punkte)
Bearbeitet 16, Mär 2016 von Michael Stöhr
Seit einiger Zeit geistert der Begriff „Entsolidarisierung“ durch die Debatte über die Nutzung der Photovoltaik (PV) zur Stromerzeugung. Verwendet wird er nicht nur im politischen Schlagabtausch, sondern auch in Studien zu Energiefragen von durchaus seriöser Seite. Aber bezeichnet der Begriff in passender Weise, was er zu benennen vorgibt? Über Begriffe kann und muss man debattieren, denn gut gewählte Begriffe erleichtern eine klare und verständliche Kommunikation über Sachverhalte, schlecht gewählte erschweren oder verhindern diese.

„Entsolidarisierung“ bezeichnet aber nicht nur einfach einen Sachverhalt, sondern wertet eindeutig negativ das, wofür es verwendet wird: Die Nutzung von Strom aus einer eigenen PV-Anlage zur teilweisen Deckung des eigenen Strombedarfs. Wertungen sind an sich nicht schlecht, auch wenn sie überspitzt sind. Sie können Konturen in Sachverhalten schärfer hervorheben, die wichtig sind, aber sonst leicht übersehen werden. Doch ist dies hier der Fall?


Selten wird genau erklärt, wieso der Eigenverbrauch von PV-Strom unsolidarisch sein soll. Oft nur zwischen den Zeilen hört oder liest man dann heraus, warum dies so sei: Er entlaste die Eigenverbraucher von der Zahlung der Netzentgelte, wodurch diese auf eine kleinere Gruppe von Stromverbrauchern umgelegt würden. Da die Netzkosten aber nicht sänken, würde deren Belastung steigen. Nehmen wir dies einmal als gegeben hin. Ist dann der Eigenverbrauch von PV-Strom mit „Entsolidarisierung“ treffend bezeichnet? Rückt er einen Aspekt ins Rampenlicht, der wichtig ist, aber sonst unerkannt bliebe?


Zur treffenden und verständlichen Verwendung von Begriffen gehört, dass ähnliche Situationen gleich bezeichnet werden. Ähnlich zum Eigenverbrauch von PV-Strom ist der Anbau von Gemüse im eigenen Garten. Dadurch werden die Kosten der Infrastruktur zur Lebensmittelversorgung auf weniger Personen umgelegt. Niemand spricht hier von Entsolidarisierung. Ähnlich ist er auch zum Ersatz des eigenen Autos eines Eigenheimbesitzers durch ein Fahrrad oder öffentliche Verkehrsmittel. Er zahlt dann keine KfZ-Steuer mehr und der Unterhalt der Straßen wird auf weniger Schultern verteilt. Auch hier spricht niemand von Entsolidarisierung.


Noch fragwürdiger wird die Verwendung des Begriffs, wenn sonstiger Eigenverbrauch von Strom in den Blick genommen wird. Beim Eigenverbrauch der Industrie spricht auch niemand von Entsolidarisierung. Hier jedoch aus einem überraschenden Grund zu Recht: Die Netznutzungsgebühren sind mitnichten je Kilowattstunde gleich hoch. Große Verbraucher zahlen weniger als kleine. Sie können sich gar nicht entsolidarisieren.


Insofern wird der Begriff „Entsolidarisierung“ im Zusammenhang mit Eigenverbrauch von PV-Strom nicht völlig zu Unrecht gebraucht: Kleine Verbraucher tragen im eingespielten System der Stromversorgung überproportional die Kosten der allgemeinen Stromversorgung, insbesondere des Netzes. Ihr Anteil ist nicht verursachergerecht bemessen. Insofern leisten kleine Verbraucher einen „Solidaritätsbeitrag“ für die Versorgung großer. Wer sich mit PV-Strom selbst versorgt senkt seinen Solidaritätsbeitrag. Das kann man wortspielerisch als "Entsolidarisierung" bezeichnen.


Im engeren Zusammenhang mit dem System der Stromversorgung kann die Verwendung des Begriffs „Entsolidarisierung“ also rein formal begründet werden. Gerechtfertigt ist sie dennoch nicht. Zum einen deckt sich der Begriff nicht mit dem allgemeinen Verständnis von Solidarität, womit die Unterstützung Schwacher durch Stärkere, Kleiner durch Große bezeichnet wird. Das Verständnis der Verwendung des Begriffs im speziellen Kontext des Eigenverbrauchs von PV-Strom setzt voraus, dass allgemein bekannt ist, dass im Gegensatz dazu kleine Stromverbraucher üblicherweise einen Solidaritätsbeitrag für große leisten, was Voraussetzung dafür ist, dass sich Eigenheimbesitzer dem mittels einer PV-Anlage teilweise entziehen können. Diese Erkenntnis dürfte jedoch für die meisten Mitbürger neu sein. Genauso, wie die wenigsten wissen dürften, dass die Erzeugung von PV-Strom mittlerweile zu den kostengünstigen Formen der Stromerzeugung mit neuen Anlagen gehört.


Mit diesen Überlegungen sind freilich noch nicht alle Aspekte des Eigenverbrauchs von PV-Strom umfassend behandelt. Von „Entsolidarisierung“ zu sprechen hilft jedoch nicht weiter, diese Aspekte so zu beleuchten, dass eine geeignete Weiterentwicklung unseres Energieversorgungssystems daraus abgeleitet werden könnte.
   

4 Antworten

+4 Punkte
Beantwortet 18, Mär 2016 von Christopher Neumann (115 Punkte)
ausgewählt 18, Mär 2016 von Michael Stöhr
 
Beste Antwort

Ein schöner Beitrag, Herr Stöhr. Ich möchte zu Ihren Beispielen (Gemüsegarten zur Selbstversorgung, Fahrrad statt Auto) noch Folgendes ergänzen: Energieeffizienz. Denn Energieeffizienz wird - zurecht - als eine der zentralen Säulen der Energiewende bezeichnet. Verringert jedoch ein privater Haushalt oder ein Betrieb aufgrund von Effizienzmaßnahmen seinen Stromverbrauch, verringert er - genau wie der Eigenversorger - seinen Beitrag zu Netzentgelten, diversen Umlagen, etc. Folgt man dieser Logik, "entsolidarisiert" sich damit der Energieeffiziente (und auch derjenige, der sich energiesparend verhält) genauso wie der Eigenverbraucher. Dies ist natürlich dem derzeitgen Preisdesign geschuldet, welches Umlagen und Entgelte in erster Linie an die bezogenen Kilowattstunden knüpft.

Wenn man einen Moment darüber nachdenkt, merkt man recht schnell, dass an dieser Argumentation etwas nicht stimmen kann. Wie können diejenigen als unsolidarisch gelten, die bspw. durch (teilweise) Eigenversorgung, Umsetzung von Energieeffizienzmaßnahmen oder sparsamen Verhalten ihren Strombezug verringern und damit zum Ziel einer Energiewende beitragen?

Eine Debatte über die Entsolidarisierung im Strommarkt, welcher ihr Hauptaugenmerk auf die PV-Eigenversorgung legt, greift meines Erachtens viel zu kurz.

+3 Punkte
Beantwortet 16, Mär 2016 von Martin Werner (2,069 Punkte)

Unsolidarisch in Zusammenhang mit Erneuerbaren Energien ist die Praxis von großen Industrieunternehmen, Firmen so aufzusplitten, dass die energieintensiven Produktionsbereiche so wenig Mitarbeiter haben, dass sie von der EEG-Umlage befreit werden.

Kommentiert 18, Mär 2016 von Michael Stöhr (1,180 Punkte)
Sehr geehrter Herr Werner, gibt es stichhaltige Belege, dass diese Praxis verbreitet ist? Wenn ja, wäre dies in der Tat unsolidarisch, da ja große Industrieunternehmen von den sinkenden Börsenstrompreisen profitieren, was Folge der Einspeisung von Strom aus erneuerbaren Quellen ist. M. Stöhr
Kommentiert 18, Mär 2016 von Martin Werner (2,069 Punkte)
Sehr geehrter Herr Stöhr,
es stand sogar hier in der Lokalpresse, dass eine hier ansässige Firma einen Bereich in eine neue GmbH ausgliedert um ca. 3 Mio € an EEG-Abgabe zu sparen.
Grüße
M. Werner
+1 Punkt
Beantwortet 18, Mär 2016 von Geckler, Heinz (2,530 Punkte)

Hallo Michael Stöhr,

der Anreiz, sich in gewissen Bereichen unsolidarisch zu verhalten liegt ja bereits in der Ausgestaltung des EEG begründet. So haben unter anderem die Berechnungsmodalitäten für die Befreiung von der EEG-Umlage zur Folge, dass es sich für Unternehmen die vom Verbrauch her knapp unter diesen Berechnungsgrenzen liegen rechnet, mehr Strom zu verbrauchen um dann von der EEG-Umlage befreit zu werden. So wird allein durch die Berechnungsmodalitäten das eigentliche Ziel der Energieeinsparung verhindert. Genau so geht es Unternehmen, die knapp über der Berechnungsgrenze für die Befreiung liegen. Diese Unternehmen würden unter Umständen aus der Befreiung fallen, wenn im Betrieb Massnahmen zur Energieeinsparung umgesetzt werden.

+1 Punkt
Beantwortet 18, Mär 2016 von Jakob Zehndorfer (96 Punkte)

In Österreich ist es so, dass der Eigenverbrauch mit 1,5 Euro-cent/kWh besteuert wird. Zwar tritt die Besteuerung erst ab 25.000kWh Erzeugung pro Jahr in Kraft, aber prinzipiell kann man sagen: der Anti-PV Lobby ist damit ein großer Wurf gelungen.

Wenn ich also die Initiative ergreife eine PV-Anlage zu planen, einzureichen, zu investieren und schließlich zu bauen, dann notgedrungen Umsatzsteuer, Importzölle und über die Kosten der PV Anlage natürlich für diverse weitere Steuern und Abgaben indirekt bezahlt habe und nebenbei die Wirtschaft angekurbelt und Arbeitsplätze gesichert habe, dann wird meine Risikobereitschaft nicht restlos belohnt, sondern der Staat bedient sich noch einmal an meinen Einsparungen (wohlgemerkt eine Umsatzgröße - nicht nur am Gewinn). Betroffen sind unter anderem Schulen, Kindergärten, Feuerwehren und kleinere Gemeinden, die mittelgroße Anlagen bis 50 kWp betreiben (und natürlich alle industriellen mit größeren Anlagen).

Das wäre also ungefähr so, als wenn jeder Apfel meines Apfelbaumes, den ich in meinem Garten aufgestellt habe und jährlich pflege besteuert würde.

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