Seit einiger Zeit geistert der Begriff „Entsolidarisierung“ durch die Debatte über die Nutzung der Photovoltaik (PV) zur Stromerzeugung. Verwendet wird er nicht nur im politischen Schlagabtausch, sondern auch in Studien zu Energiefragen von durchaus seriöser Seite. Aber bezeichnet der Begriff in passender Weise, was er zu benennen vorgibt? Über Begriffe kann und muss man debattieren, denn gut gewählte Begriffe erleichtern eine klare und verständliche Kommunikation über Sachverhalte, schlecht gewählte erschweren oder verhindern diese.
„Entsolidarisierung“ bezeichnet aber nicht nur einfach einen Sachverhalt, sondern wertet eindeutig negativ das, wofür es verwendet wird: Die Nutzung von Strom aus einer eigenen PV-Anlage zur teilweisen Deckung des eigenen Strombedarfs. Wertungen sind an sich nicht schlecht, auch wenn sie überspitzt sind. Sie können Konturen in Sachverhalten schärfer hervorheben, die wichtig sind, aber sonst leicht übersehen werden. Doch ist dies hier der Fall?
Selten wird genau erklärt, wieso der Eigenverbrauch von PV-Strom unsolidarisch sein soll. Oft nur zwischen den Zeilen hört oder liest man dann heraus, warum dies so sei: Er entlaste die Eigenverbraucher von der Zahlung der Netzentgelte, wodurch diese auf eine kleinere Gruppe von Stromverbrauchern umgelegt würden. Da die Netzkosten aber nicht sänken, würde deren Belastung steigen. Nehmen wir dies einmal als gegeben hin. Ist dann der Eigenverbrauch von PV-Strom mit „Entsolidarisierung“ treffend bezeichnet? Rückt er einen Aspekt ins Rampenlicht, der wichtig ist, aber sonst unerkannt bliebe?
Zur treffenden und verständlichen Verwendung von Begriffen gehört, dass ähnliche Situationen gleich bezeichnet werden. Ähnlich zum Eigenverbrauch von PV-Strom ist der Anbau von Gemüse im eigenen Garten. Dadurch werden die Kosten der Infrastruktur zur Lebensmittelversorgung auf weniger Personen umgelegt. Niemand spricht hier von Entsolidarisierung. Ähnlich ist er auch zum Ersatz des eigenen Autos eines Eigenheimbesitzers durch ein Fahrrad oder öffentliche Verkehrsmittel. Er zahlt dann keine KfZ-Steuer mehr und der Unterhalt der Straßen wird auf weniger Schultern verteilt. Auch hier spricht niemand von Entsolidarisierung.
Noch fragwürdiger wird die Verwendung des Begriffs, wenn sonstiger Eigenverbrauch von Strom in den Blick genommen wird. Beim Eigenverbrauch der Industrie spricht auch niemand von Entsolidarisierung. Hier jedoch aus einem überraschenden Grund zu Recht: Die Netznutzungsgebühren sind mitnichten je Kilowattstunde gleich hoch. Große Verbraucher zahlen weniger als kleine. Sie können sich gar nicht entsolidarisieren.
Insofern wird der Begriff „Entsolidarisierung“ im Zusammenhang mit Eigenverbrauch von PV-Strom nicht völlig zu Unrecht gebraucht: Kleine Verbraucher tragen im eingespielten System der Stromversorgung überproportional die Kosten der allgemeinen Stromversorgung, insbesondere des Netzes. Ihr Anteil ist nicht verursachergerecht bemessen. Insofern leisten kleine Verbraucher einen „Solidaritätsbeitrag“ für die Versorgung großer. Wer sich mit PV-Strom selbst versorgt senkt seinen Solidaritätsbeitrag. Das kann man wortspielerisch als "Entsolidarisierung" bezeichnen.
Im engeren Zusammenhang mit dem System der Stromversorgung kann die Verwendung des Begriffs „Entsolidarisierung“ also rein formal begründet werden. Gerechtfertigt ist sie dennoch nicht. Zum einen deckt sich der Begriff nicht mit dem allgemeinen Verständnis von Solidarität, womit die Unterstützung Schwacher durch Stärkere, Kleiner durch Große bezeichnet wird. Das Verständnis der Verwendung des Begriffs im speziellen Kontext des Eigenverbrauchs von PV-Strom setzt voraus, dass allgemein bekannt ist, dass im Gegensatz dazu kleine Stromverbraucher üblicherweise einen Solidaritätsbeitrag für große leisten, was Voraussetzung dafür ist, dass sich Eigenheimbesitzer dem mittels einer PV-Anlage teilweise entziehen können. Diese Erkenntnis dürfte jedoch für die meisten Mitbürger neu sein. Genauso, wie die wenigsten wissen dürften, dass die Erzeugung von PV-Strom mittlerweile zu den kostengünstigen Formen der Stromerzeugung mit neuen Anlagen gehört.
Mit diesen Überlegungen sind freilich noch nicht alle Aspekte des Eigenverbrauchs von PV-Strom umfassend behandelt. Von „Entsolidarisierung“ zu sprechen hilft jedoch nicht weiter, diese Aspekte so zu beleuchten, dass eine geeignete Weiterentwicklung unseres Energieversorgungssystems daraus abgeleitet werden könnte.