Wer die Energiewende nur als Stromwende denkt, springt zu kurz. Der Wärmesektor gerät ins Abseits. Mehr noch: Regenerativ erzeugter Strom macht Elektroheizungen hoffähig. Unser Autor Matthias Hüttmann plädiert für eine neue, integrierte Denkweise, die den Strom- und Wärmesektor verbindet – und das Energiesparen nicht vergisst.
Solarthermie wird zu klein gedacht: Die Sonne assistiert einer Öl- oder Gasheizung bei der Trinkwassererwärmung. Bestenfalls unterstützt sie die Raumheizung - mehr schlecht als recht, weil im Winter, wenn Heizwärme gebraucht wird, die Sonne zu wenig scheint. Dieses kleinmütige Denken, das bis weit in die Solar- und Heizungsbranche hinein verwurzelt ist, wird die erneuerbaren Energien nicht voran bringen. Mehr Selbstbewusstsein würde nicht schaden: Die saisonale Speicherung der Solarwärme, die Optimierung der Regelung zur Erhöhung solarer Deckungsraten, die Verbesserung der Anlageneffizienz – all dies sind Aspekte, die die Solarthermie in einem anderen Licht erscheinen lassen. Darüber hinaus bietet die Verzahnung von regenerativer Stromerzeugung und Wärmetechnik ungeahnte Möglichkeiten.
Kleinanlagen ohne Zukunft?
Solarthermie ist allemal zeitgemäß, um nicht zu sagen notwendiger denn je. Trotzdem gibt es in der Branche Befürchtungen, dass die Heizungen mit ihren solaren Assistenten, wie sie seit Jahren etabliert sind, bei den Fast-Null-Energie-Gebäuden der Zukunft kaum noch eine Rolle spielen könnten. Diese Befürchtungen sind berechtigt. Denn wird die Solarthermie nur als Add-on zum Heizkessel verstanden, ist ein wirtschaftlicher Betrieb tatsächlich schwierig zu realisieren.
Seit den 1980er- und 1990er-Jahren gibt es fast nur Solarthermie-Kleinanlagen. Sie bringen wenig, aber sie richten auch keinen Schaden an – dachte man. Geschadet haben sie aber dem Ruf der Solarthermie: Die sei zwar gut fürs Lebensgefühl, aber wenig wirtschaftlich. Mit diesem Leumund fällt es schwer, der Solarthermie eine tragende Rolle bei der Energiewende zuzuweisen.
Gängige Solaranlagen zur Heizungsunterstützung in Ein- oder Zweifamilienhäusern haben ein Pufferspeichervolumen von 750 bis 1.500 Liter. Hier heizt eine herkömmliche Technik, meist ein konventioneller Öl- oder Gaskessel, und die Solarthermie unterstützt sie. Schon der Begriff „Heizungsunterstützung“ sagt alles über die Rangfolge im technischen Konzept. Deshalb ist von diesen Anlagen auch nicht mehr zu erwarten, als dass sie dem fossil befeuerten Heizkessel lediglich einen Anteil seiner Arbeit abnehmen. Sie leisten in aller Regel 15 bis 30 Prozent solare Deckung, mehr kann die Sonne bei einem solchen Konzept nicht beitragen. Die Heizgerätehersteller stützen diese Sichtweise. Sie bewerben ihre Heizkessel, ihre Solarkollektoren und ihre Kurzzeitspeicher – oft im praktischen Paket.
Doch ohne Langzeitspeicher gibt es im Eigenheim keine Solarthermie, die auch ökonomisch Sinn stiftet. Soll der Kessel nicht nur unterstützt, sondern weitgehend oder völlig ersetzt werden, sind die Speicherinhalte um ein Vielfaches größer anzusetzen. Nur dann können die solaren Deckungsraten nennenswert erhöht werden. Nur dann wird der Betrieb wirtschaftlich.
Modernisierung als Chance?
Ein Solarwärmekonzept, das diesen Namen verdient, lässt sich nicht einfach mit einem Heizungstausch realisieren. Da meist eine größere Reparatur oder eine plötzliche Störung (im Winter!) die Auslöser für den Kauf einer neuen Heizung sind, besteht kaum eine Chance, Tabula rasa zu machen. Ein Brennstoffwechsel hin zu einem Biomassekessel oder gar der harte Schnitt hin zur solaren Heizung stehen in solchen Notfallsituationen nicht zur Debatte. Der Niedertemperaturkessel wird durch ein neues Gerät gleicher Bauart ersetzt, das alte Brennwertgerät gegen ein moderneres ausgetauscht. Damit ist die Umstellung auf erneuerbare Energien für die nächsten 20 Jahre passé. Man hat zwar eine neue Heizung mit etwas niedrigerem Energieverbrauch – in Sachen Wärmewende ist man aber keinen Schritt vorangekommen.
Dazu kommt, dass die schleppende Nachfrage nach erneuerbaren Wärmesystemen Weiterentwicklungen bremst. Die Innovationszyklen werden länger, die Preise zukunftsweisender Technik bleiben meist über denen konventioneller Produkte. Das Beharren auf Altbewährtem zementiert letztendlich Rückständiges.
Autark und integrativ
Genug lamentiert. Denn es gibt sie, die zukunftsweisenden Konzepte – zum Beispiel in Freiberg/Sachsen. Hier stehen seit dem Sommer 2013 zwei energieautarke Häuser, die ersten ihrer Art in Europa. Die beiden hier abgebildeten, bezahlbaren Gebäude sind bewohnt, eines dient als klassisches Einfamilienhaus, das andere wird als Büro genutzt. In den nächsten Jahren werden hier neuartige Konzepte für ein autarkes Lüftungs-, Kühlungs- und Wasserversorgungssystem entwickelt. Die Häuser decken ganzjährig ihren Bedarf an Heizung und Warmwasser weitestgehend mit der Sonne. Dazu sind in die steilen Dachflächen 46 Quadratmeter große Kollektorflächen integriert. In Kombination mit einem 9-Kubikmeter-Langzeitwärmespeicher wird eine solare Deckungsrate von über 65 Prozent erreicht. Den restlichen Bedarf deckt ein Kaminofen mit Hilfe von etwa zwei bis drei Festmeter Stückholz pro Jahr. Wärmeseitig ist das energieautarke Haus somit nicht ganz unabhängig.
Beim Strom sind die Gebäude auf die Eigenversorgung mit Solarstrom ausgelegt. Dafür sorgt eine 8-Kilowatt-Peak-Photovoltaik-Anlage, die ebenfalls dachintegriert ausgeführt ist. Die Kollektoren und Module des Solardachs ersetzen die Dachziegel und bilden eine vollwertige Dachfläche. Um den selbst gewonnen Strom flexibler einsetzen zu können, wird dieser in einem Energiespeicher zwischengelagert. So kann beispielsweise ein Elektromobil auch nach Feierabend, wenn die Sonne gerade nicht scheint, mit eigenproduziertem Strom geladen werden. Der Akku ermöglicht es dem Haus, vollständig ohne Stromnetzanschluss auszukommen. Neben der persönlichen Freiheit, die aus dieser Autarkie entsteht, bringt sie einen gesamtwirtschaftlichen Effekt: Sie entlastet das öffentliche Stromnetz.
Externe Speichernutzung
Es ist zwar nicht nötig, ein energieautarkes Haus an das öffentliche Stromnetz anzuschließen. Aber es bietet für beide Seiten – Bewohner und Energieversorger – Vorteile: Energieüberschüsse können ins Netz eingespeist werden, beispielsweise wenn man kein Elektrofahrzeug sein Eigen nennt. Wie der Energieversorger von dem Konzept profitiert, zeigt eines der beiden Häuser in Freiberg: Es stellt dem regionalen Energieversorger EnviaM und den Stadtwerken Freiberg den Akku-Speicherplatz zur „Lagerung“ von Stromüberschüssen zur Verfügung. Und nicht nur der Elektrospeicher sowie der Akku des E-Mobils sollen von außen angesteuert werden. Auch der 3.200 Kubikmeter fassende Langzeit-Wärmespeicher in einem der Häuser wurde mit einer Elektroheizpatrone ausgestattet. Wie ein großer Tauchsieder erwärmt der Heizstab das Wasser in dem Speicher - mit Überschussstrom, den die Freiberger Stadtwerke einspeisen. Bis zu 550 Kilowattstunden Strom kann der Stromversorger im Winter auf diese Weise einlagern und über Wochen als Wärme vorrätig halten. Die Bewohner müssen dann ihren Kaminofen seltener einheizen. Dieses für beide Seiten profitable System wird – wie alle technischen Komponenten der beiden Häuser - messtechnisch begleitet. Den Energieversorgern bietet dies die Chance, praxisnahe Messdaten und Erfahrungen zu gewinnen.
Auch der Nürnberger Energieversorger N-Ergie praktiziert das Prinzip „Power-to-Heat“ und hat hierfür kürzlich einen 70 Meter hohen und 33.000 Kubikmeter fassenden Wärmespeicher in Betrieb genommen. Hier wird überschüssiger regenerativ erzeugter Strom in Form von Wärme gepuffert. Der Nutzen für die Allgemeinheit liegt auf der Hand: Stromerzeugung und -verbrauch werden voneinander entkoppelt, schlecht speicherbarer Strom wird zu einfach speicherbarer Wärme. Windkraftanlagen müssen nicht mehr abgeschaltet werden, wenn sie zu viel Strom erzeugen.
Strom-Wärme-Systeme
Die Kombinationsmöglichkeiten von Photovoltaik, Solarthermie, Biomasse und Umweltwärme (in Form von Wärmepumpen) sind enorm - jedoch nur, wenn der Strom- und Wärmesektor im Gebäude nicht getrennt betrachtet wird. Gerade für die Wärmeversorgung bieten sich viele neue Möglichkeiten. Das zeigt auch ein Blick über die Grenze nach Dänemark. Dort schießen solarthermisch betriebene Nahwärmenetze wie Pilze aus dem Boden. Sie beschränken sich jedoch nicht nur auf die Bereitstellung von Wärme. Vielmehr wird die Wärme beispielsweise von Dampfturbinen in einem sogenannten ORC-Prozess (Organic-Rankine-Cycle) in Strom verwandelt. Als Arbeitsmittel dienen dabei organische Flüssigkeiten mit einer niedrigen Verdampfungstemperatur. Solche Wärme-Strom-Hybridlösungen wurden in dänischen „Smart District Heating“-Anlagen bereits mehrfach realisiert.
Auch in Deutschland gibt es hoffnungsvolle Ansätze. In einem Berliner Projekt zur Sanierung von Geschosswohnungsbauten überwacht ein „dynamischer Energiemanager“ den Heizwärme- und Warmwasserverbrauch wie auch die unterschiedlichsten Energiebereitstellungsarten. Solarthermieanlagen, geothermische Energiegewinne, Abluftwärmepumpen, aber auch der Stromertrag mittels Photovoltaik: Alles wird in Echtzeit gemessen und ausgewertet. So kann das System alle Komponenten im laufenden Betrieb an das Energieangebot und das Nutzerverhalten anpassen. Auch die Speicherung erfolgt auf innovative Weise in einem sogenannten „eTank“. Dieser Wärmespeicher liegt in der Erde – beim Neubau direkt unter der Bodenplatte, beim Altbau zum Beispiel neben dem Gebäude. Er besteht bis zu einer Tiefe von etwa 1,5 Metern aus mehreren Schichten Erdreich, in denen Polyethylen-Leitungen verlegt sind. Das gesamte Erdreich wird über die mit Sole gefüllten Leitungen erwärmt: Solarwärme gelangt direkt in den „Erdtank“, aber auch Wärmeerträge mit niedriger Temperatur kann er aufnehmen, etwa Wärme aus einer Abluftanlage, einem Kamin mit Wärmerückgewinnung oder einer wassergekühlten Photovoltaikanlage sowie Prozesswärme und Abwärme. Im Sommer ist das System zur Kühlung einsetzbar. Eine intelligente Leitungsführung und das offene System verhindern Überhitzen oder Auskühlung.
Zukunftsmusik?
Passivhaus, Aktivhaus, Sonnenhaus, Nullenergiehaus, Plusenergiehaus: Angesichts der beschriebenen Konzepte verschwimmen die einst puristischen Hausbau-Ideologien. Passivhäuser erhalten eine aktive Heizung, die Energie aus erneuerbaren Quellen nutzt. Sonnenhäuser werden dicker gedämmt, um die regenerative Anlagentechnik kleiner zu dimensionieren – oder um Überschüsse für Langzeitspeicher zu erwirtschaften. Zur runden Sache wird das Ganze durch die Erweiterung des Gebäude-Energiekonzepts auf die Mobilität, dem zweiten großen Block des privaten Energieverbrauchs.
Führt man Solarthermie, Photovoltaik und Bauphysik zusammen, kann jede Technik ihr energetisches und wirtschaftliches Potenzial am besten ausschöpfen. Das ist mehr als eine kleine Solarwärmeanlage für ein bisschen Warmwasser oder eine kleine PV-Anlage zum Abgreifen der Einspeisevergütung.
Matthias Hüttmann
Literatur
Leukefeld, Timo, Baer, Oliver u. Hüttmann, Matthias: Modern heizen mit Solarthermie – Sicherheit im Wandel der Energiewende. Erlangen: Verlag Solare Zukunft, 2014, ca. 200 S., 21,85 Euro, Bestellungen: www.dgs-franken.de/bestellungen
Der Autor unseres Beitrags zur Wärmewende, Matthias Hüttmann, ist Co-Autor eines neu erschienenen Solarthermie-Fachbuches. Es zeigt, wie Kollektoren die endlose Kraft der Sonne anzapfen und wie die Wärme gespeichert wird – billiger als Akkus den Strom speichern können. Zudem werden innovative Häuser vorgestellt, die auch im Winter nur durch Solarthermie beheizt werden.