Die EU plant, den Anteil erneuerbarer Energien bis zum Mitte des Jahrhunderts kräftig auszubauen. Nur so lassen sich die CO2-Ziele der Gemeinschaft erreichen. Aus Sorge vor hohen Preisen will sie auf Kernkraft und Kohle aber nicht verzichten.
Die Europäische Union bekennt sich wie kaum ein anderer Akteur der internationalen Politik zum Klimaschutz. Nach einer Vereinbarung der Mitgliedsstaaten aus dem Jahr 2009 sollen die CO2-Emissionen der Gemeinschaft bis 2050 um 80 bis 95 Prozent im Vergleich zu 1990 sinken.
Spätestens mit Vorlage der EU-Roadmap 2050 Mitte Dezember hat sie aber schwarz auf weiß, dass eine solche Vision ohne eine radikale Umstellung des herrschenden Energiesystems nicht zu schaffen ist. Denn selbst eine Fortschreibung der ambitionierten 2020-Ziele der EU – Reduzierung des C02-Ausstoß um 20 Prozent und Erhöhung der regenerative Energieerzeugung auf 20 Prozent des Verbrauchs – werden laut dem Papier „nicht ausreichen, um das für 2050 angestrebte EU-Dekarbonisierungsziel zu erreichen, da dieses Ziel im Jahr 2050 weniger als zur Hälfte erreicht sein wird“.
Ein „weiter so“ scheidet damit auch für die EU definitiv aus. Nur mit einer gezielten Dekarbonisierungsstrategie können die ambitionierten CO2-Ziele gelingen, wie der EU-Fahrplan anhand von vier unterschiedlichen Szenarien aufzeigt.
Deren Quintessenz: die Kosten fallen nicht oder kaum höher aus, als wenn die EU die bestehende Energiepolitik einfach fortsetzen würde. Denn eine Erneuerung des Kraftwerkparks in Europa ist aufgrund der Altersstruktur bestehender Einheiten in den kommenden Jahrzehnten so oder so notwendig. Eine CO2-freie Modernisierung zahlt sich aber durch niedrigere Kosten für fossile Energien und positive Wachstumsimpulse ökonomisch aus. „Die Kosten des gesamten Energiesystems (einschließlich Brennstoff-, Strom- und Kapitalkosten, Investitionen in Ausrüstung, energieeffiziente Produkte usw.) liegen in allen Szenarien unter den 14,6 Prozent des europäischen BIPs, die im Falle eines Business-as-usual-Szenarios mit dem Titel „aktuelle politische Initiativen“
„Die Abhängigkeit von volatilen Preisen für fossile Brennstoffe“ würde beispielsweise in allen „Dekarbonisierungsszenarios abnehmen, da die Importabhängigkeit 2050 auf 35-45 Prozent gegenüber 58 Prozent im Rahmen der aktuellen Politikansätze sinkt.“
Zentrale Instrumente zur Umsetzung der Klimaschutzziele sind laut Roadmap eine Steigerung der Energieeffizienz und des Ausbaus regenerativer Energien. „Die erneuerbaren Energien werden in Europa ins Zentrum des Energiemixes rücken, wobei der Weg von der technologischen Entwicklung hin zur Massenproduktion und umfassenden Einführung, vom Einsatz im kleinen Maßstab hin zum Einsatz im großen Maßstab - unter Einbeziehung sowohl lokaler als auch weiter entfernt gelegener Ressourcen -, vom subventionierten Produkt hin zum wettbewerbsfähigen Produkt führt”, schreiben die EU-Autoren. Diese Entwicklung setze aber auch Änderungen in der Politik voraus. So müssten die Anreize mit steigendem Ausbau der Erneuerbaren effizienter werden. Die Autoren der Roadmap fordern eine größere Marktintegration und letztlich auch eine „stärker europäisch ausgerichtete Herangehensweise “. Instrumente wie das deutsche EEG wären damit nicht kompartibel, was der Bundesverband Erneuerbare Energien (BEE) auch prompt kritisierte. Je nach Szenario erhöht sich der Anteil der regenerativen Energien am Primärenergieverbrauch bis zum Ende des Prognosezeitraums auf 40 bis 60 Prozent.Der Anteil am Stromverbrauch klettert auf bis zu 97 Prozent.
So weit so gut. Doch alleine auf regenerative Quellen mag sich die EU nicht verlassen, denn alle Szenarien setzen gleichzeitig auf Kohle und/oder Kernkraft. Europa komme demnach entweder nicht ohne die unterirdische Speicherung von Kohlenstoff (Carbon Capture and Storage – CCS) aus fossil befeuerten Kraftwerken oder neue Kernkraftwerke aus. Denn, so die Begründung, nur mit diesen eingeführten Energieerzeugungstechnologien sei eine zuverlässige und wettbewerbsfähige Energieversorgung möglich. Auch wenn die EU nirgendwo in der Roadmap beim Thema Neubau konkret wird, implizieren diese Aussagen doch den Neubau dieser konventionellen Kraftwerke. Die Lebensdauer existierender Kernkraftwerke etwa wird in 40 Jahren beim Gros der Anlagen längst überschritten sein.
„Auf den Zubau sowohl von Kohle- als auch Atomkraftwerken sollte weitestgehend verzichtet werden“, fordert dagegen Claudia Kemfert, Leiterin der Abteilung für Energie und Klima beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). Je mehr auf Effizienzverbesserungen und den Ausbau der erneuerbaren Energien gesetzt werde, desto eher sei genau das möglich. „Zudem ist es kostenintensiv, CO2 abzuscheiden und einzulagern“ widerspricht sie der EU-Aussage vom preissenkenden CCS-Strom. „Es bedarf ferner gesetzlicher Vorgaben und einer gesellschaftliche Akzeptanz, die zumindest in Deutschland schwer zu erreichen sein wird.“ Auch die Atomenergie berge erhebliche finanzielle und ökologische Risiken. Neue Atomkraftwerke seien zudem mit erheblichen Investitionen verbunden.
Offenbar hat die die Kommission bei ihren Preisprognosen für regenerativen Strom bis 2050 nicht sauber oder mit veraltetem Material gerechnet. So kalkuliert sie bei großen Photovoltaik-Kraftwerken 2020 mit Kapitalkosten von 2.700 Euro je Kilowatt, einer Größe, die nach dem rasanten Preisverfall in den letzten zwölf Monaten bereits heute erreicht wird. Auch die Kostenerwartungen von 1.710 Euro für 2030 und 1.350 Euro für 2050 erscheinen viel zu hoch. Selbst das deutsche Umweltministerium, das den Fahrplan insgesamt begrüßt, wundert sich darüber: „Für Kernenergie und CCS-Technologie werden eher zu niedrige Kosten, für die erneuerbaren Energien dagegen zu hohe Technologiekosten angesetzt. Diese liegen real bereits deutlich unter den Annahmen der Kommission“, heißt es in einer offiziellen Stellungnahme. Der Bundesverband Erneuerbare Energien (BEE) kritisiert außerdem die Ignorierung „Kosten senkender Effekte der erneuerbaren Energien.“ Zwar räumt die EU ein: “Bei Wind- oder Solarstrom sind die Grenzkosten niedrig oder gleich Null; mit ihrer zunehmenden Verbreitung im System könnten die Spotpreise auf den Großhandelsmärkten sinken und über einen längeren Zeitraum auf einem niedrigen Stand bleiben”. Dennoch blendet die EU diese Fakten bei ihrer Kostenrechnung komplett aus wie sie selbst - allerdings ohne jede Begründung - einräumt: „Diese Situation wird in den Szenarios nicht behandelt“, heißt es in einer Fußnote. Daneben seien aber auch die Annahmen für die Kostenentwicklung der konventionellen Energieträger viel zu optimistisch, kritisiert BEE-Präsident Schütz.
Und Alexandre Roesch, von der europäischen Solarindustrievereinigung EPIA, merkt an: “Die Roadmap führt zu einem unrealistischen Schluss, wenn es um die Strompreise im Szenario mit einem hohen Anteil Erneuerbarer geht. Dies sei auch dem Aspekt geschuldet, dass das Modell auf sehr hohen Annahmen für Infrastrukturkosten wie Übertragung und Speicherung beruhe .“
Allerdings sehen zentrale Investoren wie die europäischen Stromnetzbetreiber in dieser Frage ohnehin eigenen Handlungsbedarf. So widmet sich der Verband der europäischen Höchstspannungsnetzbetreiber ENTSO-E einem eigenen Ausbauplan bis 2050, der bis 2014 unter dem Titel e-Highway2050 erarbeitet werden soll. „Für dieses Projekt wird das Konsortium eine eigene Bandbreite an Szenarien definieren, die auf dem EU-Szenario für 2050 aufbauen können oder aber auch darüber hinausgehen”, erklärt Sprecher Michael Mieszczanski. Die konkreten Planungen der Netzbetreiber würden von der Roadmap nicht berührt. “Die Tatsache, dass die EU-Roadmap für 2050 Szenarien enthält, in denen Kohle und Atomkraft weiterhin Teil des europäischen Energiemix im Jahre 2050 sind, hat keinen Einfluss auf die Pläne der Netzbetreiber .“ Di