1 kWp entspricht 1 km. Auf diese grobe Faustformel konnten wir vor 20 Jahren im Projekt "PV for the World Villages" die Antwort auf die Frage herunterbrechen, ab welcher Entfernung vom Stromnetz ein PV-System mit Batterie genausoviel kostet, wie die Stromleitung, die ansonsten zu legen wäre. Die Frage stellte sich im Kontext der ländlichen Elektrifizierung von Ländern des Südens und die Faustformel besagt: Wenn ein Dorf einen Energiebedarf hat, der mit einer PV-Anlage von x kWp sicher bedient werden kann, ist dessen Installation etwa so teuer wie die Installation einer neuen Stromleitung von x km Länge und entsprechender Übertragungskapazität. Interessanterweise passte diese Faustformel für viele Länder und sehr unterschiedliche lokale Energiebedarfe. Als Ergebnis konnte sicher gesagt werden, dass bereits vor 20 Jahren 1-2 Milliarden Menschen günstiger mit PV-Systemen mit Batterie versorgt werden konnten, als durch einen Ausbau des Stromnetzes - die außerdem benötigten Kraftwerke und die in diesen zu verfeuernden Brennstoffe noch gar nicht mit eingerechnet.
Seitdem kostet PV-Strom nur noch ein Zehntel und aktuell sinken die Preise für Lithium-Ionen-Batterien rasant. Zudem sind nun LED-Leuchten verfügbar, deren Strombedarf nur ein Bruchteil der damaligen Leuchten ausmacht. Die Frage stellt sich, ob nicht der Kreis der Menschen, die mit PV-Anlagen + Speicher günstiger mit Strom versorgt werden können als mit dem konventionellen netzgebundenen Energieversorgungssystem, viel größer ist als vor 20 Jahren.
Der Punkt wird in aktuellen Untersuchungen nur schwach beleuchtet. Einige nehmen selbstverständlich an, dass ein Stromnetz immer und überall erforderlich ist. "Räumlicher Ausgleich von Erzeugung und Verbrauch" wird dem "zeitlichen Ausgleich" gegenübergestellt, als ob das eine unbeeinflusst vom anderen wäre. Dem ist aber nicht so. Andere postulieren, dass mit Speichern der Aus- und Umbau des Stromnetzes verzögert, wenn nicht vermieden werden kann. Dies kann belegt werden und ist ein klarer Hinweis darauf, dass es irgendwo ein Optimum zwischen Stromnetz- und Speicherausbau geben muss. Leider fehlen weithin noch eingehendere Berechnungen, wo dieses Optimum liegen könnte.
Solche liegen jetzt für Australien vor. Das ist wenig überraschend, hat doch Australien ein extrem stark dimensioniertes Stromnetz gemessen an der Bevölkerung und dem Stromverbrauch. Entsprechend machen die Netzkosten bis zu 20ct/kWh aus. Dabei ist der größte Teil des australischen Festlands gar nicht an eines der beiden Stromnetze im Osten und Südwesten angeschlossen, sondern wird sowieso schon off-grid, d.h. lokal autark versorgt, meist noch mit Dieselaggregaten. Nun wird in Australien deutlich, dass es schon jetzt für viele Bewohner und Städte günstiger ist, sich lokal mit PV-Strom zu versorgen, der in Batterien gespeichert wird, als länger an das überregionale Stromnetz angeschlossen zu sein.
Um zu verhindern, dass es zu einem unkontrollierten Wechsel hin zur autarken Versorgung einzelner Städte mit lokalen Mikro-Netzen kommt, hat nun das australische Energieberatungsunternehmen Energeia eine Studie vorgestellt, in der vorgeschlagen wird, welche 40 australischen Städte, für die dies eine attraktive Option ist, als erstes vom überregionalen Stromnetz gehen sollten, damit der Netzrückbau dort zuerst beginnt, wo die weitere Instandhaltung des Netzes am teuersten wäre. Die Studie steht nicht isoliert, sondern reiht sich in eine Serie anderer ein, inklusive öffentlicher Feststellungen der beiden großen australischen Netzbetreiber.
Damit zeigt das Beispiel Australien als erstes Flächenland auf, was die Energiewende für das Stromnetz bedeutet: Nicht zwangsläufig einen Ausbau, sondern eher einen Umbau, der durchaus mit größeren Stilllegungen von Stromtrassen einhergeht. In Australien ist mittelfristig das gesamt Netz außerhalb von Städten und Siedlungen betroffen. In Deutschland wird dies sicher nicht so sein, da die Siedlungsdichte erheblich höher ist. Dennoch sollte von der Formel Energiewende = Stromnetzausbau Abstand genommen und die Situation differenzierter betrachtet werden.
http://reneweconomy.com.au/2016/the-40-australian-towns-that-could-and-should-quit-the-grid-93813