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Energiewende: Können Deutschland und die Schweiz voneinander lernen?

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Eingestellt 17, Dez 2014 in Energiewende von Claudia Kemfert (47 Punkte)

Sowohl in Deutschland als auch in der Schweiz ist die Energiewende - mit Abstrichen - beschlossene Sache. Bei dieser Wende handelt es sich allerdings nicht nur um den Ausstieg aus der Kernenergie, sondern um einen Komplettumbau der Energieversorgung. Wie sich die zwei Länder diesbezüglich beeinflussen - nicht immer positiv - und was sie voneinander lernen können, zeigt dieser Beitrag.

Seit geraumer Zeit sorgt die Energiewende in Deutschland, aber auch in der Schweiz für Schlagzeilen. Deutschland hat die Energiewende gleich zweimal beschlossen: Zunächst 2010, als die Laufzeiten existierender Atomkraftwerke verlängert, aber gleichzeitig festgelegt wurde, bis 2050 den Anteil an erneuerbarer Energien am gesamten Stromaufkommen auf 80% zu erhöhen; dann nochmals im März 2011, als die Bundesregierung kurzfristig beschloss, acht Atomkraftwerke älterer Bauart sofort abzuschalten und bis 2022 gänzlich auf Atomkraft zu verzichten.

Auch in der Schweiz kommt die Energiewende voran. Die Absicht, aus der Atomkraft auszusteigen, erhält, obwohl durch eine Verlängerung der Restlaufzeiten bis 2050 erheblich verwässert, mit dem Beschluss des Nationalrats, keine neuen Atomkraftwerke zu bewilligen, weitere Schubkraft.

Gleichzeitig hat der Nationalrat den Empfehlungen der traditionellen Wirtschaftsverbände wenig Gehör geschenkt und sich deutlich für den Einsatz und Ausbau der erneuerbaren Energien sowie die Steigerung der Energieeffizienz durch entsprechende Anreize ausgesprochen.

Schweizer Wasserkraft nicht wettbewerbsfähig wegen billigem deutschen Kohlestrom

Entgegen der öffentlichen Wahrnehmung handelt es sich bei der Energiewende nicht nur um den Ausstieg aus der Kernenergie. Sowohl in der Schweiz als auch in Deutschland steht der Komplettumbau der Energieversorgung zur Diskussion. Dabei sind die Herausforderungen in beiden Ländern sehr unterschiedlich.

In der Schweiz kommen heute weniger als drei Prozent des Stromes aus fossilen Quellen. Mehr als 55% werden in Wasserkraftwerken erzeugt und knapp 40% stammen aus Atomkraftwerken. Schritt für Schritt, maßvoll und geordnet, sollen nach den Vorstellungen des Nationalrats Solar-, Wind- und Strom aus Biomasse ausgebaut werden, um gemeinsam mit die Energieeffizienz steigernden Maßnahmen die Versorgungslücke zu schließen, welche mit dem Rückbau der schweizerischen Atomkraft erwartet wird.

Kernelemente sind dabei ein entsprechendes Gebäudeprogramm, das neben der Gebäudehülle auch die Gebäudetechnik erfasst, sowie eine kostendeckende, aber gedeckelte Einspeisevergütung. Allerdings behindert der billige Kohlestrom aus Deutschland die schweizerischen Energiewendeanstrengungen.

Denn bei heute herrschenden Preisen ist die Wasserkraft nicht mehr wettbewerbsfähig, weshalb Umweltschutzorganisationen in der Schweiz die Einführung einer differenzierten Stromabgabe auf importiertem Strom aus Kohlekraftwerken fordern.

Kohlekraft spielt in Deutschland traditionell eine große Rolle. Der Anteil von Kohlestrom liegt heute immerhin bei knapp 45% der gesamten Stromerzeugung. Kohlekraftwerke passen aber nicht in das Konzept einer nachhaltigen Energiewende.

Kohle produziert deutlich mehr klimabelastende Emissionen als andere Energieträger wie zum Beispiel Gas. Doch wegen derzeit sehr niedrigen CO2-Zertifikate- sowie Kohlebezugspreisen nimmt der Anteil nicht ab. Im Gegenteil, Deutschland hat derzeit einen Stromangebotsüberschuss, der zu sinkenden Börsenpreisen führt und die Klimaziele gefährdet. Für die Übergangszeit wären jedoch Gaskraftwerke besser geeignet.

Sie sind nicht nur emissionsärmer und in Kombination mit Kraft-Wärme-Kopplung eine effiziente und klimaschonendere Form der Energiebereitstellung. Gas ist auch besser kombinierbar mit den fluktuierenden erneuerbaren Energien, da Gasanlagen flexibel hoch- und heruntergefahren werden können.

Das europäische Netz muss ausgebaut werden

In Deutschland hat erneuerbare Energie gegenwärtig einen Anteil von etwa 25% an der Stromerzeugung und liegt über demjenigen der Atomenergie (18%). Erneuerbare Energien weisen aber hohe Volatilitäten auf und werden häufig fern vom Ort ihrer Verwendung produziert. Deshalb steigt mit dem weiteren Ausbau der Erneuerbaren der Bedarf an leistungsfähigen Stromnetzten.

Einerseits muss Strom vom Norden Deutschlands in den Westen und Süden transportiert werden; insbesondere weil dort Atom- und Kohlekraftwerke mehr und mehr abgeschaltet werden. Andererseits ist das europäische Stromnetz zu erweitern, um geologische Vorteile bei der Stromproduktion aus erneuerbaren Energien ausschöpfen zu können und den Handel zu verbessern.

Schließlich werden intelligente Verteilnetze benötigt, die das Stromangebot sowie die Nachfrage optimieren. Neben der Stromspeicherung zum Beispiel durch Pumpspeicherkraftwerke spielt nämlich die Nachfragesteuerung eine wichtige Rolle. Denn auch energieintensive Industrien könnten ihr Nachfrageverhalten so gestalten, dass sie besser kombinierbar sind mit einem immer volatiler werdenden Stromangebot durch den steigenden Anteil erneuerbarer Energien.

Mit dem Ausbau der Erneuerbaren sinkt die wirtschaftliche Attraktivität konventioneller Kraftwerke. Würden aber alte, ineffiziente Kohlekraftwerke rasch vom Markt genommen, könnte sich der Börsenpreis für Strom stabilisieren und die für die Energiewende wichtigen Gas- oder Pumpspeicherkraftwerke wieder rentabel werden.

Gleichzeitig würde es sich auch rentieren, in die Steigerung der Energieeffizienz zu investieren. Denn Energiesparen ist elementar für die Energiewende. Beispielsweise könnte knapp ein Fünftel des Energiebedarfs von Immobilien allein durch den Einsatz effizienter Dämm- und Klimatechnik eingespart und alle dadurch entlastet werden.

Im Gegensatz zur Bundespublik Deutschland hat man in der Schweiz diesen Aspekt klar erfasst und ein entsprechendes Gebäudeprogramm im Nationalrat beschlossen. Auch die deutsche Bundesregierung hat in ihrem Klimaaktionsprogramm diesen Aspekt aufgegriffen, doch die Finanzierung bisher offen gelassen.

Die Kernelemente einer Politik, die auf eine effiziente Umsetzung einer Energiewende ausgerichtet sind

Erstens muss klar sein, dass die Energiewende den Strommarkt verändern wird. Die künftige Stromversorgung wird dezentraler als bisher erfolgen. Immer weniger Großkraftwerke werden zum Einsatz kommen. Stattdessen wird Strom in kleineren und mittelgroßen Anlagen für erneuerbare Energien erzeugt oder Kraft-Wärme-Kopplung genutzt.

Allerdings gibt es heute Überkapazitäten im deutschen Stromangebot. Deutschland exportiert so viel Strom wie nie ins Europäische Ausland und der Strombörsenpreis sinkt kontinuierlich. Nicht zuletzt dies macht den Zubau von kleineren konventionelleren Kraftwerken zunehmend unwirtschaftlicher.

Deshalb wird es künftig notwendig sein, ausreichend finanzielle Anreize für den Bau erneuerbarer Energien, Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen, sowie den Ausbau und die Optimierung von Stromnetze und Speicher zu schaffen.

Pumpspeicherkraftwerke sind derzeit die einzig wirtschaftliche Form der Stromspeicherung. Diese Option ist in Deutschland begrenzt, weshalb der deutsche Strommarkt auf andere Länder in den Alpenregion und Skandinavien angewiesen ist. Dies deutet auf ein Dilemma hin. Denn einerseits müsste verstärkt in diese Speichermöglichkeiten investiert werden, was insbesondere in der Schweiz wegen des "billigen " Kohlestroms aus Deutschland betriebswirtschaftlich zur Zeit nicht mehr rentabel ist.

Andererseits müssen neue Formen der Stromspeicherung entwickelt und zur Marktreife gebracht werden. Unter den derzeit herrschenden Preisen sind diese Technologien nicht wirtschaftlich. Und selbst bei steigenden Preisen für fossile Energien und sinkenden Kosten für erneuerbarer Energien könnten diese innovativen Techniken in 20 bis 25 Jahren zum Einsatz kommen.

Zweitens hat zumindest in Deutschland die Energiewende derzeit in erster Linie den Charakter einer Strom-Angebots-Wende. Weder die Energieeffizienz, d.h. der sparsame Umgang und niedrigere Verbrauch von Energie, noch die Gebäudeenergie oder Mobilität stehen derzeit im Fokus der bundesrepublikanischen Energiewendediskussion.

Hier ist ein klarer Gegensatz zur Schweiz auszumachen, wo neben dem verstärken Ausbau von erneuerbaren Energien insbesondere die Erhöhung der Energieeffizienz und die Förderung alternativer Technologien im Vordergrund stehen.

Kostenwahrheit ist notwendig

Langfristig durchsetzen können sich alternative Technologien aber nur, wenn Kostenwahrheit herrscht. Bei den heute herrschenden Preisen für Strom aus fossiler Energie ist dies nicht der Fall. Im Gegenteil, die herrschenden Marktpreise verzerren den Wettbewerb zugunsten konventioneller Energien.

Dabei geht vergessen: Je weniger Energie verbraucht wird, desto weniger abhängig werden wir von den knapper und teurer werdenden fossilen Energien. Artikel 6 der EU-Kommission sieht deshalb auch vor, Effizienzmaßnahmen einzuführen, so dass jährlich Energie in Höhe von 1,5 % ihres Energieabsatzes eingespart werden können.

Zudem sollten Möglichkeiten geschaffen werden, Energieeffizienzfonds als unabhängige Organisationseinheit einzurichten. Außerdem kann man sich vorstellen, dass Ausnahmeregelungen der Industrie zur Zahlung von Ökoumlagen an Effizienzverbesserungen gekoppelt werden.

Wie oben bereits erwähnt, liegen neben dem Mobilitätssektor die größten Einsparpotenziale vor allem im Immobilienbereich. Dies beschränkt sich nicht nur auf die Gebäudehülle, sondern auch die Gebäudetechnik, wo die größten Effizienzgewinne zu erwarten sind. Die Art und Weise, wie in der Schweiz über die Energiewende nachgedacht und entschieden wird, könnte zumindest in diesem Bereich Deutschland zum Vorbild gereichen.

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