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Warum dominiert die Kostendebatte den Diskurs über die Energiewende?

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Eingestellt 13, Nov 2013 in Energiewende von Stefan Preiß (100 Punkte)
   

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Beantwortet 13, Nov 2013 von Stefan Preiß (100 Punkte)

Talleyrand, die Agenda und die Energiewende in Deutschland

Über den französischen Diplomaten Charles-Maurice de Talleyrand-Périgord, der zu den wichtigsten Beratern Napoleons zählte, wird eine interessante Anekdote erzählt. Als Napoleon ihm im Vorfeld von Friedensverhandlungen vorschlug, eine weitere Schlacht zu führen, um die Verhandlungsposition zu stärken, entgegnete ihm Talleyrand: „Das ist nicht erforderlich: Man hat mir erlaubt, die Agenda für die Verhandlungen festzulegen.“

Die Debatte um die Energiewende in Deutschland zeigt auf einer anderen Ebene die Bedeutung der Agenda. Spätestens seit den Vorschlägen von Bundesumweltminister Peter Altmaier (CDU) für eine Strompreisbremse im Frühjahr 2013 wird die Energiewende immer weniger als Chance denn als Bedrohung wahrgenommen. Die gebetsmühlenartige Warnung vor den „explodierenden Kosten der Energiewende“ hat zunehmend die Agenda der Debatte bestimmt. Von den vormals gerühmten Chancen und Vorteilen eines zügigen Umstiegs der Energieversorgungsstrukturen auf erneuerbare Energien ist kaum mehr die Rede. Vielmehr ist mit dem „Kostenargument“ eine Angstspirale in Gang gesetzt worden, an deren aktuellem Rand von Industrieseite die Sorge vor der „Zerstörung des industriellen Kerns Deutschlands“ als Superlativ eingebracht wurde.

Die von der Kostendebatte geprägte Agenda wirkt erwartungsgemäß in die laufenden Koalitionsverhandlungen zwischen Union und SPD hinein. Man werde die Umsetzung der Energiewende planbarer, berechenbarer und „dauerhaft bezahlbar“ gestalten, erklärte der Bundesumweltminister. Sein sozialdemokratisches Pendant in den Verhandlungen, die nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin Hannelore Kraft, erklärte schon zu Beginn der Koalitionsgespräche, dass der Erhalt der Industriearbeitsplätze wichtiger als eine schnelle Energiewende sei. Die zwischenzeitlich bekannt gewordenen Ergebnisse der Arbeitsgruppe Energie bestätigen, dass ein kraftvoller Ausbau der erneuerbaren Energien in der kommenden Legislaturperiode nicht die höchste Priorität besitzt: Der Bioenergieausbau soll gedrosselt, die Onshore-Windkraft auf gute Standorte beschränkt und Photovoltaik-Selbstversorger stärker zur Kasse gebeten werden. „Unser Ziel war es. die Kostenexplosion in den Griff zu bekommen. Das haben wir erreicht“, erklärte CDU-Vize Armin Laschet.

Warum aber ist es den Verfechtern der Energiewende nicht gelungen, die – auch ökonomischen – Vorzüge einer erfolgreichen und zügigen Energiewende erfolgreich in die Debatte einzubringen? An guten Argumenten gäbe es keinen Mangel: Eine schnelle Energiewende würde Abhängigkeiten von fossilen Energieträgern und deren Exporteuren senken. Schon heute werden Milliardenbeträge dadurch gespart, dass weniger Öl und Gas importiert werden muss als zu Zeiten, als die regenerativen Energien ein Schattendasein fristeten. Eine schnelle Energiewende könnte auch Arbeitsplätze schaffen, moderne Industrieunternehmen an Weltmärkten ihren Know-how-Vorsprung vermarkten. Nicht zuletzt werden die Fortschritte der Energiewende in Deutschland von anderen Industrienationen genau beobachtet. Schafft man es, hier Wissen darüber zu akkumulieren, wie fluktuierende erneuerbare Energien in Kombination mit Speichertechnologien, Energieeffizienz, Demand-Side-Management oder Blockheizkraftwerken zu einem stabilen Versorgungssystem zusammengeführt werden können, dann lässt sich auch dieses Wissen gewinnbringend vermarkten.

Der Erfolg des „Kostenarguments“ in der öffentlichen Debatte hat vielfältige Gründe. Ein wichtiger Aspekt sind fraglos gut organisierte Interessen, die über verschiedene Kanäle an der Agenda des öffentlichen Diskurses feilen. Deren Erfolg beim Agendasetting ist damit aber noch nicht erklärt. Er hängt nicht zuletzt zusammen mit einer Asymmetrie des Arguments, in einer Ungleichheit der Waffen: Die „Kostenexplosion“ ist unmittelbar eingängig, metaphorisch mit Kontrollverlust und möglicherweise physischer Bedrohung verbunden. Die „Kostenexplosion“ weckt Emotionen, es muss alles getan werden, um diesen Zustand zu vermeiden, um Gefahr von sich und anderen abzuwenden.

Liegt der Ball erst einmal auf dem Spielfeld der „Kostendebatte“, haben es die Verfechter der Energiewende schwer. Denn jetzt gilt es, zu erklären, warum die Kosten durch die erneuerbaren Energien nicht „explodieren“. Das geht dann zumeist so, dass Branchenvertreter oder die überschaubare Zahl an Ökonomen, die das EEG nicht verteufeln, erklären, dass die Strompreise (für Haushaltskunden) ja nur deshalb steigen, weil die Strompreise (im Großhandel) sinken. In einem nächsten Schritt wird die Wirkung des „Merit-Order-Effekts“ ausgearbeitet und die Mechanik der EEG-Umlage präsentiert. Zu diesem Zeitpunkt steht es bereits 3:0 für die „Kostenexplosion“, folgen jetzt noch weitere Erläuterungen über die Missstände im „Strommarktgesign“ und im Emissionshandel, droht eine Packung. Genüsslich können die Vertreter der „Kostenexplosion“ noch den Ball zwischen den „unsozialen Wirkungen des EEG“ und dem „drohenden Verlust von Industriearbeitsplätzen“ zirkulieren lassen, um die Demütigung der Energiewendefreunde perfekt zu machen.

Dass der von der Koalition geplante Umbau des EEG tatsächlich wenig zur Kontrolle der Energiewendekosten beitragen dürfte, gehört zu den fast schon ironischen Randbemerkungen in der Debatte: Auch bei einem massiven Ausbau der erneuerbaren Energien sind die zusätzlichen Kosten verglichen mit den längst versprochenen Vergütungen für Bestandsanlagen von untergeordneter Bedeutung – zumindest wenn man die Offshore-Windenergie ausklammert, bei der vergleichsweise hohe Vergütungssätze mit hoher Stromproduktion zusammentreffen. Der Versuch von Altmaier, die Bestandskosten im Rahmen der „Strompreisbremse“ zu senken, ist kläglich gescheitert, auch Brüssel rät von rückwirkenden Kürzungen dringend ab, um Investoren nicht zu verunsichern. Bei der Furcht vor der „Kostenexplosion“ geht es nur um die Neuanlagen. Die aber erhalten schon lange keine so üppigen Vergütungssätze wie noch vor wenigen Jahren. Selbst bei der Photovoltaik sind Fördersätze erreicht, die mit den Ängsten vor einer „Kostenexplosion“ eigentlich nicht mehr kompatibel sind. Große Installationen bis 10 MW erhalten seit wenigen Wochen weniger als 10 Cent pro Kilowattstunde Vergütung. Zum Vergleich: Das jüngst von der britischen Regierung auf den Weg gebrachte Atomkraftwerk in Somerset, das in zehn Jahren den Betrieb aufnehmen soll, erhält den Planungen zufolge für jede produzierte Kilowattstunde einen garantierten Preis von umgerechnet rund 10,5 Cent. Und das im Übrigen für einen Zeitraum von 35 Jahren.

Im Kern sollte die Agenda der Energiewende viel breiter augestellt sein: Welche Rolle kommt der Energieeffizienz zu? Wie können Angebot und Nachfrage besser aufeinander abgestimmt werden? Welche Lösungen können die Energiewende im Wärme- und Kraftstoffmarkt beschleunigen? Wie kann die Entwicklung von Speichern vorangebracht werden? All das sind Fragen, die im Zuge der Energiewende im Blickpunkt stehen müssten, ebenso wie die Frage nach der Gestaltung eines Energiesystems, das die erneuerbaren Energien in den Mittelpunkt stellt. Eine Erweiterung der Agenda durch eine Emanzipation der Debatte von der reinen Kostenperspektive könnte einen lösungsorientierten Blick auf die Energiewende schärfen. Dann müssen sich die Verfechter traditioneller fossiler Versorgungsstrukturen vor dem Rückspiel gegen die Energiewendefreunde warm anziehen.

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